Schläge gegen die Meinungsfreiheit - lasst Raif Badawi frei!

16.01.2015 08:04

Viele verbale, moralische "Schläge" und nun schon zwei Jahre gerichtliche Anfeindung musste ich wegen meiner zugespitzten Streusalzkritik einstecken. Inzwischen habe ich bedrückende Träume: ich sah letzte Nacht, wie ein riesiger, tonnenschwerer schwarzer Felsbrocken auf die Straße direkt vor das Haus fiel, in dem ich lebe und arbeite.

Ein gigantischer Meteorit, der eigentlich nur aus dem All kommen konnte - doch ich sah viele Hände, die mit ausgestreckten Fingern wie ein Kranz den fallenden Felsbrocken umsäumten. Als hätten sie ihn zuvor gehalten und genau vor meinem Haus fallengelassen.

Der riesige Felskoloss lag direkt vor meinem Haus und versperrte den Eingang. Niemand konnte mehr herein, niemand heraus. Mit einem traurig-bedrückten Gefühl erwachte ich.

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Denken wir heute an den Blogger Raif Badawi, der wegen seines Engagements für Meinungsfreiheit inhaftiert und gefoltert wird, aufgrund eines "ordentlichen" Gerichtsurteils, mit 50 öffentlichen Stockschlägen  jeden Freitag.

Versuchen Sie es sich vorzustellen: Ihnen werden die Augen verbunden, Sie sind an Händen und Füßen gefesselt. - Der Mensch ist biologisch ein Fluchttier, er hat ein Urbedürfnis, bei Gefahr für Leib und Leben wegzulaufen.

Unsere Augen brauchen wir, um uns auf nahende Gefahr einzustellen: sehen wir einen Gegenstand, der uns verletzen könnte, sich auf uns zubewegen, z.B. einen Ast, der von einem Baum fällt, so zucken wir reflektorisch zusammen und nehmen die Hände schützend hoch - vor das Gesicht, über den Kopf, je nachdem, wo uns der Gegenstand zu treffen droht.

Wenn man Sie gefesselt und Ihnen die Augen verbunden hat, können Sie beides nicht: ihre Augen können Sie nicht warnen, Ihre Füße nicht laufen. Sie wissen nicht, wann der Schlag kommt und wohin er trifft. Zusammen mit dem Schmerz kommt der Schreck, der den Stress noch erhöht.

Sie stehen bewegungslos, gelähmt in völliger Dunkelheit, das Herz rast, sie wissen nur, es wird ein Schmerz kommen, sie wissen aber nicht wann und wo: trifft er die Schultern, den Nacken, den Brustkorb, den unteren Rücken, die Knie...

Werden Sie das Gleichgewicht halten können? Der menschliche Körper ist bestrebt, immer Balance zu halten: der Kopf muss oben, die Beine unten bleiben. Wenn jemand uns schubst, verlagert sich der Schwerpunkt von der Körpermitte nach außen, dem wirken wir reflektorisch mit einem Ausfallschritt oder mit einer Armbewegung entgegen. Sonst würden wir stürzen.

Jetzt stellen Sie sich vor: ohne Vorwarnung kommt ein heftiger Schlag, von hinten, von der Seite, in den Nacken, in den Rücken - sie wissen nicht wo. Sie sehen nichts, sie können  ihre Hände und Füße nicht bewegen. Die elementarsten Schutzreflexe bleiben Ihnen verwehrt. Sie bekommen Todesangst, schon nach dem ersten Schlag. Wenn Sie stürzen, fallen Sie ungebremst aufs Gesicht oder auf den Hinterkopf, sie können mit gefesselten Händen nicht den Kopf schützen oder den Sturz abfangen.

Und es kommt nicht nur ein Schlag. Es kommen 50. Dem Folterer bleibt es überlassen, wie heftig die Schläge sind, wo sie treffen, in welchen Abständen er sie ausführt. 

Was ist mit dem Publikum? Die Auspeitschung ist öffentlich. Unter Stress verringert sich die menschliche Empathie. Die Menschen im Publikum wissen: jeden von uns kann eine solche Strafe treffen. Mitleidsbekundungen mit dem Opfer wären riskant. Sicherer ist es, zuzustimmen und Beifall zu klatschen.

Sie stehen also da, schutzlos den Peinigern ausgeliefert, vor einem willfährigen oder gar begeisterten Publikum. Niemand sagt: hört auf mit dieser Grausamkeit. Niemand springt hinzu, um Ihnen zu helfen, niemand fällt dem Folterer in den Arm.

Hatten Sie bis jetzt angenommen, dass die Menschen im Grunde gut sind und zumindest "normale Bürger" vertrauenswürdig sind? Sie tun es, wenn sie an einer Ampel einer vielbefahrenen Kreuzung  stehen. Sie würden niemals denken, dass der Fremde hinter ihnen sie vor ein Auto schubst. Das Grundvertrauen in die Mitmenschen ist uns angeboren - sonst könnten wir vor Angst nicht existieren.

Wie mag es jemandem ergehen, der so gefoltert wurde wie oben beschrieben? Er hat Menschen erlebt, die ihn zum Täter gestempelt und für schuldig erklärt haben, Menschen die ihm Schmerzen und Todesangst zufügen, Menschen die untätig zusehen, und er weiß: es geht weiter. Kaum sind nach einigen Tagen die körperlichen Schmerzen ein wenig abgeklungen, naht der nächste Freitag, die nächste Folterung.

Denken wir heute an Raif Badawi und alle Menschen, die weltweit für Meinungsfreiheit kämpfen und dafür hohes persönliches Risiko eingehen!

Ich bin Blogger. Ich bin Raif.

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