Streusalz-Kritik schlimmer als Schmäh-Gedicht? Meinungs- und Pressefreiheit auf dem Prüfstand
Die Bundesregierung hat auf Grundlage des §104 StGB entschieden, dass ein Strafverfahren gegen den TV-Moderator und Satiriker Jan Boehmermann aufgrund einer Strafanzeige des türkischen Staatspräsidenten Erdogan wegen Beleidigung nach §103 StGB durchgeführt werden kann.
Ein Aufschrei geht durch das Land. Man könnte meinen, Kanzlerin Merkel hätte bereits beschlossen, den lästerhaften Komödianten höchstpersönlich zum Schafott zu führen. Dabei wird übersehen, dass sogar die staatsanwaltlichen Ermittlungen erst ganz am Anfang stehen und noch nicht einmal Anklage erhoben wurde.
Gefühlt 999 von 100 Bundesbürgern scheinen noch nie von dem Begriff "Gewaltenteilung" etwas gehört zu haben. Dabei ruht auf den drei Säulen der voneinander unabhängig arbeitenden "Gewalten" unser demokratisches Staatswesen!
Da ist zunächst einmal die gesetzgebende Gewalt oder Legislative: sie wird von den Länderparlamenten und dem Bundestag gebildet. Dort werden die Gesetze gemacht (Abbildung: Niedersächsischer Landtag)...
Die Zweite Gewalt im Staate ist die Exekutive: sie besteht aus der öffentlichen Verwaltung und der Polizei. Die Verwaltung ist furchtbar wichtig - sie stellt z.B. Bußgeldbescheide aus. Sogar in Kriegszeiten ist sie dazu da, um die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten, wie man an diesem Bußgeldbescheid wegen Fahrradfahrens ohne Licht aus dem Jahre 1942 sieht...
(Quelle: Wikipedia commons)
Die dritte Gewalt im Staate ist die Judikative oder "richterliche Gewalt". Durch Gerichtsurteile wird die Rechtsprechung genau wie die Gesetzgebung ständig fortgebildet und modernisiert. Gerichtsurteile müssen auf dem Boden von Recht und Gesetz stattfinden - doch das Gesetz biete nur einen Rahmen, und Rahmen sind natürlich auch nichts Dauerhaftes. Ein Rahmen lädt oft geradezu dazu ein, Grenzen auszutesten...
(Zeichnung: Brigitte Dubbick)
Die Öffentlichkeit - vor allem repräsentiert durch unabhängige Medien - wird auch gerne als vierte Gewalt bezeichnet. Sie ist wiederum ein Korrektiv, das den Ausführenden auf die Finger schaut. Deshalb sind Gerichtsprozesse auch meistens öffentlich - wenn nicht Gründe des Persönlichkeitsschutzes, z.B. von Kindern dem entgegenstehen.
Über Sinn und Unsinn der Paragrafen 103 und 104 StGB lässt sich trefflich streiten. Ich persönlich halte vor allem den §104 StGB, der die Zustimmung der Bundesregierung vorschreibt, für bedenklich im Hinblick auf die Gewaltenteilung. Die Änderung oder Abschaffung dieser Paragrafen wäre allerdings Aufgabe des Parlaments. Eine Gesetzesinitiative dazu - das sagte ich übrigens bereits vor einer Woche an dieser Stelle voraus, allerdings vermutete ich diese aus den Reihen der Opposition - ist von der Bundeskanzlerin bereits angekündigt worden.
Im Moment aber gibt es diese Paragrafen (noch), und die Zustimmung der Regierung ist zwingend erforderlich, um die Juristen ihre Arbeit machen zu lassen. Hätte man ihnen das verwehrt, könnte man - und das ist das Paradoxe an der Situation - der Regierung demokratiefeindliches Eingreifen in die Judikative bzw. Rechtssprechung vorwerfen.
Doch es ist wichtig, die Juristen ihre Arbeit machen zu lassen. Am Ende wird Böhmermann - davon können wir alle ausgehen - straffrei bleiben. In unserem Rechtsstaat genießen gerade Betroffene in einem Strafprozess allergrößte Rücksichtnahme und rechtlichen Schutz. Jedes Delikt muss ihnen penibel nachgewiesen werden - es gilt das wichtige Prinzip: In Dubio pro Reo = im Zweifel für den Angeklagten.
Leider habe ich das in meinem Zivilprozess um meinen unautorisiert veröffentlichten Streusalz-Leserbrief genau andersherum erlebt: die Richter konnten aufgrund der Zensur, die die Lübecker Nachrichten über den Fall gelegt haben, unbemerkt von der Öffentlichkeit schalten und walten wie sie wollten. Alles Geschehene wurde gegen mich ausgelegt, damit man schnell und bequem den Fall beenden konnte. Es war für mein Empfinden Rechtswillkür in Reinform - Juristen mit denen ich mich unterhielt, sprachen sogar von Rechtsbeugung.
Das Unfassbare geschah gleich zu Beginn des Prozesses, als der Streitgegenstand von den Richtern unverfroren von "Behauptungen" zu "Eindruckserweckungen" umgetauscht wurde. Doch das alles wird im Fall Erdogan / Böhmermann nicht geschehen. Die große Öffentlichkeit, die der Fall genießt, wird dafür sorgen, dass - anders als im Möllner Leserbriefprozess - die Juristen sich Mühe geben und keine Rechtswillkür ausüben werden. Denn:
Öffentlichkeit ist ein wichtiges Korrektiv der Judikative!
Meine 159. Streusalz-Mail habe ich bereits vor knapp drei Wochen versandt, lange bevor Anzeige gegen Böhmermann erstattet wurde. Die Mail erging wie immer an lokale und überregionale Medien, Lokalpolitiker, Umweltschutz-Organisationen und wichtige Personen des öffentlichen Lebens...

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Ich wünsche Ihnen eine angenehme Woche!
Ihre
Beate Schicker <<